Als diskret pikant würde man wohl eine Tabakdose unbekannter Herkunft bezeichnen, die sich unter dem Inventarbucheintrag „Tabakschachtel schön bemalt/erotisch“ seit 1940 in der Sammlung des Heimatmuseums befindet. Die hochrechteckige, schwarzlackierte Weißblechdose mit gerundeten Ecken stammt aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auf der Schauseite befindet sich in Lackmalerei die Darstellung einer Indianerin in Federkleid und Kopfschmuck. Auf der Schulter schmückt sie ein Pelz, während sie Pfeil und Bogen anmutig in den Händen hält. Delikat wird es aber erst, wenn sich der scharnierte doppelte Boden vom Deckel löst, und man die eindeutige Szene eines Geschlechtsakts erblickt, bei dem wenig der Fantasie überlassen bleibt. Nur ausgewählten Tabakkonsumenten war dieser Anblick vorbehalten. Es war Ausdruck eines Spiels mit der Moral. Dosen mit frivolen Motiven spiegelten die Ambivalenz zwischen öffentlicher Tugend und privatem Vergnügen wider.
Die Tabakdose auch Tabatiere genannt, gehörte zu den sog. Galanteriewaren wie etwa Fächer, Etuis, Nadelbüchsen und Parfümflakons. Sie ist ein faszinierendes Kulturobjekt und eng mit der Verbreitung des Tabakkonsums in Europa seit dem 16. Jahrhundert verbunden. Nach der Entdeckung Amerikas gelangte der Tabak nach Europa und er freute sich dort schnell großer Popularität. Während zunächst das Rauchen dominierte, entwickelte sich das Schnupfen besonders in gehobenen Kreisen zu einer beliebten Praxis. Vor allem im 18. und 19. Jahrhundert war das Präsentieren einer kunstvollen, aus wertvollen Materialien hergestellten Dose ein Zeichen von Geschmack und Wohlstand. Die Tabakdose gehörte nicht nur zum modischen Erscheinungsbild des Mannes, sondern avancierte zu einem Statussymbol.
An der Schnaittacher Tabakdose werden zudem noch Kolonialgeschichte und die europäischen Wahrnehmungen des Tabaks und seiner Herkunft anschaulich: Das Motiv der Indianerin hat einerseits seine Wurzeln in der historischen und symbolischen Verbindung zwischen Tabak und den indigenen Völkern Amerikas. Andererseits hat die idealisierte, fast mythische Darstellung der Figur nichts mit der realen Kultur indigener Völker zu tun.
Mit der Industrialisierung und der Verbreitung von Zigaretten im 19. und 20. Jahrhundert verlor die Tabaksdose an Bedeutung. Sie bleibt jedoch Zeugnis einer Alltags- und Genusskultur vergangener Zeiten.
© Dr. Nicole Brandmüller-Pfeil